Kardinal Ratzinger: Heilungsgebete
Gestalt und Form der Liturgie müssen erhalten bleiben
Kardinal Ratzinger nimmt Stellung zu Heilungsgebeten im Rahmen von Gottesdiensten
DIE TAGESPOST 25.11.2001
Von Marie Czernin
Für Verwirrung hatten vor einer Woche Nachrichten von einem Kongress über die „umstrittenen Heilungsgebete”
in
der charismatischen Bewegung der katholischen Kirche gesorgt, der am Wochenende zuvor in einem Marienwallfahrtsort am Stadtrand Roms
stattgefunden hatte.
Ein Satz, der sich auf
das im vergangenen Jahr von der Glaubenskongregation veröffentlichte Dokument
„Instruktion über die Gebete um Heilung durch Gott”
bezog, scheint besonders diejenigen verunsichert zu haben, die der charismatischen Erneuerung nahe stehen:
„Die Glaubenskongregation verwarf auch die Auffassung, dass bestimmte Teilnehmer
von Gebetstreffen über ein exklusives ,Heilungscharisma‘ verfügten und Heilungen
unmittelbar von Gott erwirken könnten.”
Der eigentliche Sinn dieses Satzes ergibt sich jedoch erst, wenn man im Dokument
weiter liest, wo es heißt:
„Es ist offensichtlich, dass der heilige Paulus in seinen Hinweisen auf die verschiedenen Charismen in
1 Kor 12 die Gabe der ,Heilungscharismen‘
nicht einer besonderen Gruppe - den Aposteln, den Propheten, den Lehrern, denen,
die das Amt der Leitung innehaben, oder
anderen - zuordnet.
Die Zuordnung der Charismen erfolgt nach einer anderen Logik: ,Das alles bewirkt
ein und derselbe Geist; einem jeden teilt er seine besondere Gabe zu, wie er
will‘ (1 Kor 12,11).”
Nicht Sache einer speziellen Gruppe in der Kirche
Im Dokument der
Glaubenskongregation
wird daraus gefolgert, dass es „völlig willkürlich”
wäre, „wenn in den Gebetstreffen, bei denen Heilungen erfleht werden, irgendeiner Gruppe von Teilnehmern, etwa den Leitern der Gruppe, ein ,Heilungscharisma‘ zugeschrieben würde; man muss sich vielmehr dem ganz freien Willen des Heiligen Geistes anvertrauen, der einigen ein besonderes Heilungscharisma schenkt, um die Macht der Gnade des Auferstandenen zu offenbaren.”
Auf die Frage, ob sich
das Heilungscharisma auf eine spezielle Gruppe in der Kirche beschränken dürfe,
erklärte der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, gegenüber
der „Tagespost”:
„Dieser Aspekt des Dokuments ist ganz notwendig und muss respektiert werden, damit sich nicht eine spezielle Gruppe von Heilern
herausbildet, die sich dabei aus der Gesamtheit des geistlichen Lebens lösen
würde. Wir müssen dem Heiligen Geist schon die Freiheit lassen. Er kann
benützen, wen er will.”
Der Kardinal legte weiterhin dar, auf was die Glaubenskongregation in ihrer
Instruktion besonderen Wert gelegt hatte:
„Wir haben in diesem Dokument ausdrücklich den Zusammenhang von Glauben und Heilung herausgestellt und auf die schönen Stellen in der Bibel hingewiesen, in denen gezeigt wird, dass die Sendung des Heilens für den
Glauben wesentlich ist. Aber wir haben dann auch Normen gegeben, damit alles in
der rechten Weise geschieht.
Denn in der Vergangenheit sind bei solchen Heilungsgottesdiensten doch auch
starke Missbräuche eingetreten, was dann ins Exzentrische und Magische geführt
hat, und somit die innere Gestalt und Form der Liturgie gesprengt worden ist.
Dabei stand dann nicht mehr der Herr im Mittelpunkt, sondern die Sensation, was
jedoch gerade vom Heiland bei seinen Heilungen immer abgelehnt wurde.”
Der Kardinal vermied es, irgendwelche Namen zu nennen, und fuhr fort, indem er auf die
christozentrische Bedeutung des Heilungsgebetes verwies: „Jesus sah körperliche
Heilungen als Wege zu einer tieferen Heilung, um das Wort Gottes zu vernehmen
und von innen her geheilt zu werden. Wo die Menschen nur Wunder wollten, hat er
es abrupt abgelehnt, Heilungen zu wirken. Wir versuchen einfach, diese Haltung
des Herrn aufzunehmen. Der Glaube ist heilend. Ja, die Heilung des Leibes gehört
dazu. Aber alles muss in seiner Ordnung bleiben: Die Liturgie hat ihre Gestalt,
in der bestimmte Gebete um Heilung möglich sind. Aber das zentrale Ereignis darf
nicht verdeckt werden durch Dinge, die ins Sensationelle abdriften.”
Klar wird in dem Dokument zwischen dem Exorzismus und dem Gebet um Heilung unterschieden, wobei „streng verboten”
wird, „solche Exorzismusgebete in die
Feier der heiligen Messe, der Sakramente oder des Stundengebetes einzufügen.”
Weiter unterscheidet das Dokument zwischen
„liturgischen”
und „nicht liturgischen Heilungsgebeten”, wobei als „liturgische Heilungsgebete”
diejenigen gelten, die „in den
liturgischen Büchern enthalten”
und „von
der zuständigen kirchlichen Autorität approbiert sind”.
„Nicht liturgische Heilungsgebete”
sollten hingegen in außerliturgischen Andachtsformen oder Gebetstreffen frei formuliert werden.
Auf die Frage, ob man freie Gebete um Heilung auch im Rahmen der Liturgie, etwa nach der Kommunion, sprechen dürfe, wie dies bei charismatischen Gottesdiensten bis jetzt öfter der Fall war, antwortete
der Kardinal:
„Das kann man natürlich schon, denn nach der Kommunion ist ja der Moment, wo
sich das Herz Jesu öffnet und wo man dann am besten zu ihm sprechen kann. Wir
hoffen darauf, dass Gott in diesem Moment besondere Gnaden ausgießt, aber wir
können ihn nicht erpressen. Wenn er sie schenkt, dann dürfen wir uns darüber
freuen.”
„Dieses Dokument der Glaubenskongregation ist für uns und für alle, die der Disziplin der Kirche folgen wollen, sehr ermutigend”, erklärte jetzt ebenfalls gegenüber der „Tagespost”
der indische Priester Jose Vettiyankal aus Kerala. Der Vinzentinerpater leitet zur Zeit in Bangalore ein Exerzitienzentrum, in dem an jedem Samstag um die tausend Menschen an einem Heilungsgottesdienst teilnehmen.
„Leider haben wir
nur für tausend Platz. Wenn wir noch etwas mehr Platz zur Verfügung hätten, würden
noch viel mehr Leute kommen. Im Exerzitienzentrum in Kerala, wo ich zuvor tätig
war, versammeln sich hingegen jedes Wochenende zehntausend Menschen. Man kann sagen, das bei jedem Heilungsgebet
etwa zwanzig Prozent der Menschen, die wegen irgendeines Leidens zu uns kommen, geheilt werden”
beteuerte Pater Jose.
Auf die Frage, zu welchem Zeitpunkt er das Heilungsgebet sprechen würde, antwortete der Vinzentinerpater:
„Ich spreche die
Heilungsgebete vor oder nach der heiligen Messe, das heißt nach dem Segen”,
und er fügte weiter hinzu: „Die Liturgie verfügt ja über ihre eigene Schönheit
und ihre schönen Gebete, und niemand hat das Recht, etwas in der Liturgie zu
verändern. Wenn der Priester hingegen etwas verändert, dann vermisst das an der
Messe teilnehmende Gottesvolk Grundlegendes. Sie zehren ja nicht vom Vorteil der
Gebete des einzelnen Priesters, sondern vom Vorteil der Kirche als ganzes. Das
Gottesvolk würde auf diese Weise vom wunderbaren Gebet der Kirche beraubt
werden. Daher müssen sie erst einmal jenes Gebet der Kirche empfangen. Besondere
Gebete für kranke Menschen kann der Priester hingegen vor oder nach der heiligen
Messe sprechen.”
Jedoch sei es auch erlaubt, bei den Fürbitten freie Gebetsanliegen für Kranke zu formulieren.
„Wenn ich während der Messe vom Heiligen Geist ein Wort der Erkenntnis bekomme,
dann trage ich das nach der heiligen Messe vor. Es werden zwar viele Menschen
schon während der Messe geheilt, aber nach der Messe sollen sie ruhig noch
dableiben, um das Heilungsgebet zu empfangen.”
Auch das Charisma soll unter der Hierarchie stehen
Wie der Pater weiter sagt, betone das Dokument der Glaubenskongregation, „dass
diejenigen, die über das Charisma der Heilungsgabe verfügen, die Hierarchie akzeptieren müssen und unter der Leitung der
Hierarchie handeln sollen. Hierarchie bedeutet soviel wie ,heilige Ordnung‘, sie
gibt der Kirche eine heilige Ordnung.
Alles muss unter der Hierarchie sein. Auch der
Heilige Geist arbeitet durch die Hierarchie.”
Auf die Frage, was nun mit denen passiere, die sich nicht an diese „heilige
Ordnung”
halten, antwortet er: „Früher, als es noch kein Dokument gab, da konnte
man noch entschuldigt werden, weil es diese Disziplin in der Kirche noch nicht gab,
aber jetzt, wo wir über ein Dokument des Lehramtes verfügen, müssen wir es auch
befolgen. Wenn wir der Hierarchie gegenüber gehorsam sind, wird der Heilige Geist viel schneller arbeiten als in früheren Zeiten.
Gehorsam ist besser als Opfer, die heilige Messe ist ein Opfer, aber wenn wir der
kirchlichen Disziplin gehorchen, dann bedeutet das sogar noch mehr als die Messe
als solches. Denn Ungehorsam war ja die
erste Sünde in der Welt, deshalb muss Gehorsam an erster Stelle stehen. Auf diese Weise können wir Satan bezwingen. Das ist
meine Erfahrung!”